Mehr als nur Öko Die neue EnzyklikaLaudato Si' über die Sorge für das gemeinsame Haus - eine erste Analyse

Selten gab es ein so großes Warten auf das Erscheinen eines päpstlichen Lehrschreibens, selten ist bereits im Vorfeld so viel um die Themen des Papstes gestritten worden.

Seit seiner Ankündigung, er wolle eine Enzyklika zu Ökologie und Umweltfragen schreiben, wird dem Papst vorgehalten, er würde sich auf fragliche wissenschaftliche Ergebnisse stützen. Tagungen für und wider wurden abgehalten. Vor allem in den USA gab es eine laute Debatte, deren Vertreter die Existenz von Klimawandel verneinen und dem Papst vorwerfen, er begebe sich auf ein Feld, auf dem die Kirche nichts zu suchen habe.

Ein Feld, auf dem ein Papst nichts zu suchen hat?

Ökologie ist für Christen aber nicht fakultativ. Das sagt Franziskus in Laudato Si’ ganz deutlich (LS 217). Er erweitert die Beziehungen des Menschen über die klassischen drei - zu sich selbst, zu Gott und zum Nächsten - um eine vierte: um die Beziehung zu Umwelt und Schöpfung. Christen hätten einen genuinen Beitrag zu leisten zur Debatte um die Gegenwart und Zukunft des Planeten, vor allem auch, weil man immer wieder deutlich machen müsse, dass es um Gerechtigkeitsfragen gehe. Laudato Si’ ist deswegen als eine klassische Sozialenzyklika zu bezeichnen, sie lässt sich nicht auf „Öko-Enzyklika“ reduzieren.

Es gibt eine ganze Reihe von Themen, die sich als rote Fäden durch die gesamte Enzyklika ziehen. Papst Franziskus selbst nennt einige davon (LS 16): Es sind die enge Beziehung zwischen den Armen und der Anfälligkeit des Planeten und die Überzeugung, dass in der Welt alles miteinander verbunden ist. Ihm geht es um aufrichtigen und ehrlichen Dialog, um die schwere Verantwortung der Politik und die Wegwerfkultur.

Am interessantesten oder aufschlussreichsten ist aber vielleicht die Frage nach der Macht des Menschen, die im Text immer wieder gestellt wird. Sie ist einer der Schlüssel zum Verstehen des Textes.

Das erste Mal: Päpstliches zum Klimawandel

Papst Franziskus beginnt mit ökologischen Themen, weitet den Blick aber sofort: Klimawandel betreffe ganze Völker und verursache Migration, aber „viele von denen, die mehr Ressourcen und ökonomische oder politische Macht besitzen, scheinen sich vor allem darauf zu konzentrieren, die Probleme zu verschleiern oder ihre Symptome zu verbergen“ (26). Das ist ein erster Hinweis auf die Zentralität des Themas Macht. Hier geht es darum, dass Macht den Blick auf die Realität verhindern will, weil dieser Nachteile bringe.

Natürlich geht es auch um politische und wirtschaftliche Macht, hier ist der Papst wie bereits auch schon in seinem Schreiben Evangelii Gaudium besonders deutlich in seiner Kritik. Die internationalen Konferenzen zu Klimafragen hätten nichts gebracht. Es gäbe zu viele Sonderinteressen, die Einigungen verhinderten (179).

Mehrfach hatte er im vergangenen Jahr betont, dass diese Enzyklika ein Beitrag zu den internationalen politischen Debatten sein soll, zunächst für die UNO in New York, bei der im September über die „nachhaltigen Entwicklungsziele“ verhandelt werden soll, und dann für die Welt Klimakonferenz im Dezember in Paris. Es fehlt - so der Papst - an einer Kultur und an leadership genauso wie an dem Willen, den eigenen Lebensstil, die Produktionsbedingungen und den Konsum zu ändern (59).

Ethik der Selbstbeschränkung

Aber hinter diesem politischen Diskurs über die Macht liegt ein anthropologischer, und der führt direkt ins Zentrum der Gedanken des Papstes. „Es gibt keine Ökologie ohne angemessene Anthropologie“ (118). Es ist gut und richtig, den Nutzen des technischen Fortschrittes für eine nachhaltige Entwicklung zu schätzen und anzuerkennen, so Franziskus.

Aber die Technologien „geben denen, welche die Kenntnis und vor allem die wirtschaftliche Macht besitzen, sie einzusetzen, eine beeindruckende Gewalt über die gesamte Menschheit und die ganze Welt“ (104). Die Menschheit brauche eine solide Ethik, eine Kultur und Spiritualität, die Grenzen setzen und die Selbstbeschränkung lehren (105). Technische Produkte seien nicht neutral, „denn sie schaffen ein Netz, das schließlich die Lebensstile konditioniert, und lenken die sozialen Möglichkeiten in die Richtung der Interessen bestimmter Machtgruppen“ (107).

Wir sind der eigenen wachsenden Macht ausgesetzt, ohne die Mittel zu haben, sie einzugrenzen, so die Analyse des Papstes. Durch die technischen Errungenschaften hätten wir Kräfte geschaffen, die wir selber gar nicht mehr kontrollieren könnten, weder in uns selbst noch Wirtschaft und Politik. „Denn wenn […] man keine objektive Wahrheit oder keine allgemein gültigen Prinzipien mehr anerkennt, werden die Gesetze nur als willkürlicher Zwang und als Hindernisse angesehen, die es zu umgehen gilt“ (123).

Papst Franziskus nennt es einen „exzessiven Anthropozentrismus“ (116), der den Blick auf die anderen Beziehungen - Gott, Mitmenschen, Selbst, Umwelt - verhindert. Dieses „technokratische Paradigma“, wie er es in der Enzyklika bezeichnet, wachse aus den Möglichkeiten, die der Mensch sich geschaffen habe und die nun die Logik des Denkens und Entscheidens vorgäben.

Er wirft diesem Paradigma vor, die „Wirklichkeit in einen bloßen Gebrauchsgegenstand und ein Objekt der Herrschaft zu verwandeln“ (11). Dieses Paradigma münde in einer Kultur von „gebrauchen und wegwerfen“, die jede Form von Verschwendung von Natur oder Menschen rechtfertige, das führe zu unendlich vielen Formen von Unterwerfung. Über die Natur und deren Ausbeutung hinaus nennt der Papst Menschenhandel und Sklaverei, Organhandel, Drogenhandel und andere Verbrechen, die in dieser Logik funktionieren. Und er findet diese Logik auch bei den Menschen, die ihre Kinder „wegwerfen“, weil sie nicht den Wünschen der Eltern entsprechen, also Abtreibung (123).

Thema Gerechtigkeit:
Generationengerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit ...

Diese Kritik am „exzessiven Anthropozentrismus“ führt wie auch schon die Beschreibung der Symptome im ersten Kapitel direkt zur Frage nach der Gerechtigkeit. „Wir kommen [...] heute nicht umhin anzuerkennen, dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde“ (49).

In der Diskussion der Bibelstellen kommt das Thema Gerechtigkeit vor, beim Unterpunkt Gemeinwohl ist es sehr stark, Generationengerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit und andere Perspektiven auf dieses Thema kommen immer wieder vor. Ganzheitliche Ökologie soll nun ein Paradigma der Gerechtigkeit werden, in der Enzyklika erweitert der Papst also die klassischen Themen der Soziallehre um die Frage nach Nachhaltigkeit und Ökologie. „Auf diese Weise können wir eine Ökologie vorschlagen, die in ihren verschiedenen Dimensionen den besonderen Ort des Menschen in dieser Welt und seine Beziehungen zu der ihn umgebenden Wirklichkeit einbezieht“ (15).

Die Vernunft dürfe nicht nur instrumentell auf die Welt zugreifen, kritisiert der Papst, diese Sicht auf die Wirklichkeit habe die „Mythen der Moderne“ geschaffen: Individualismus, undefinierter Fortschritt, Konkurrenz, Konsumismus, regelloser Markt. Die neue, ganzheitliche Ökologie brauche dagegen auch zum Nutzen der Wirtschaft andere Regeln, und auch hier stellt sich die Frage der Gerechtigkeit: „Damit es eine wirtschaftliche Freiheit gibt, von der alle effektiv profitieren, kann es manchmal notwendig sein, denen Grenzen zu setzen, die größere Ressourcen und finanzielle Macht besitzen“ (129).

Was das genau bedeuten kann, sagt er etwas später im Text: „Darum ist die Stunde gekommen, in einigen Teilen der Welt eine gewisse Rezession zu akzeptieren und Hilfen zu geben, damit in anderen Teilen ein gesunder Aufschwung stattfinden kann“ (193). Deutlich auch seine Kritik am Machtgefüge der internationalen Politik: „Die Auslandsverschuldung der armen Länder ist zu einem Kontrollinstrument geworden, das Gleiche gilt aber nicht für die ökologische Schuld“ (52). Und zur Frage nach der Grundlage der Machtverteilung, der Frage nach Eigentum, hat der Papst ebenfalls eine eindeutige Aussage: „die Christliche Tradition hat das Recht auf Privatbesitz niemals als absolut und unveräußerlich anerkannt und die soziale Funktion jeder Form von Privatbesitz betont“ (93).

Das Setzen von Grenzen ist nur mit Macht zu leisten, entweder durch Kontrolle von außen und durch internationale Übereinkünfte, oder durch Selbstbeschränkung der reichen Gesellschaften angesichts der „ökologischen Schuld“, welche die reichen Länder haben. Aber auch Selbstbeschränkung ist eine Form von Machtausübung.

Anerkennen der Realität

Daneben gibt es aber ein zweites Element. Neben der Frage nach der Gerechtigkeit, also dem Verhältnis zum Anderen, ist auch die Frage nach dem Verhältnis zu sich selbst zu stellen. Die durch die Technik gewonnen Kräfte, die wir nicht mehr beherrschen können, bedrohen uns selbst. Der Papst spricht von der „Spirale der Selbstzerstörung“ (163), aus der wir herauskommen müssen. Das kann aber nur geschehen, wenn man der Wirklichkeit ins Auge blickt. Wie auch schon in Evangelii Gaudium legt der Papst großen Wert darauf, dass man unideologisch die Wirklichkeit betrachtet.

Ausdrücklich will er zum Hören auf den Schrei der Welt die Wissenschaften nutzen, mit ihrer Hilfe ließe sich feststellen, was wirklich „dem gemeinsamen Haus widerfahre“, um den Untertitel der Enzyklika zu zitieren. Das sei notwendig, weil der Mensch „sich die Dinge zurecht legt, um all die selbstzerstörerischen Laster zu pflegen: Er versucht, sie nicht zu sehen, kämpft, um sie nicht anzuerkennen, schiebt die wichtigen Entscheidungen auf und handelt, als ob nichts passiert wäre“ (59). Hier erkennt man die Art und Weise wieder, wie der Papst über die Fehler und die Korruption spricht, ein Anerkennen der Realität ist der erste Schritt.

Geistlich liegt dahinter eine Einsicht, wie sie schon auf den Gründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola, zurück geht: Die Begegnung mit Schuld und Fehlern führt nicht zuerst zu einer moralischen Bewertung, sondern zur Möglichkeit, sich zu bessern. Theologisch gesprochen ist der Ort der Sünde Ort der Begegnung mit Jesus Christus, der die Sünden auf sich genommen hat. Nur wenn man sich seine Schwächen und Sünden vor Augen führe, sei der Weg des erlösten Christseins möglich.

Bereicherung der katholischen Soziallehre

Wenn der Papst also davon spricht, dass wir versuchen, die Sünde „nicht zu sehen“ und kämpfen, „um sie nicht anzuerkennen“, dann ist das kein moralisches, sondern ein zutiefst geistliches Urteil über unsere Art und Weise, letztlich uns selber zu schaden. Und um auf die Frage nach der Macht zurückzukommen: Die vielen Möglichkeiten, derer wir nicht mehr Herr werden, weil sie unsere Welt so sehr konditioniert haben, hindern uns daran, die Wirklichkeit zu sehen und auch diese Macht selber ehrlich einzuschätzen. „Tatsache ist, dass die moderne Gesellschaft nicht zum rechten Gebrauch der Macht erzogen wird“ (105). Und so widmet der Papst sein letztes Kapitel der Bildung und Erziehung, den wahren Quellen für den rechten Umgang mit Macht.

Begonnen hatte der Papst diese Gedanken bei seiner ersten großen Predigt, am 19. März 2013, dem Tag seiner Amtsübernahme. Er hatte davon gesprochen, dass das „sich untertan machen“ der Erde Sorge und Hüten bedeute, nicht ausbeuten. Thema der Predigt war der heilige Josef, der Hüter und Sorger für eine Familie; diese Attribute übertrug der Papst damals auf den Umgang mit der Schöpfung. Macht trage Verantwortung und einen Auftrag mit sich und müsse eingegrenzt werden, um nicht maßlos zu werden.

Den gleichen Gedanken findet man auch in der Enzyklika wieder, die Bibel gebe keinen Anlass für einen „despotischen Anthropozentrismus, der sich nicht um die anderen Geschöpfe kümmert“ (68). Wenn Papst Franziskus also nun seine Enzyklika vorlegt, dann sammelt er viele seiner schon einmal getrennt gemachten Äußerungen und fügt sie zusammen. Die kirchliche Soziallehre wird dadurch um ein Element reicher.

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